Für das Training mit sehbehinderten Menschen habe ich ein Mobilitäts- und Orientierungstraining mit Anusch Mazloum, einem sehr erfahrenen Mobilitätstrainer gemacht, der mir die Welt des Blinden näher gebracht hat.
Es war sehr aufregend, anstrengend und lehrreich und ich bin nach unseren Treffen – bei denen ich mit der Augenbinde oder Simulationsbrillen blind durch die Welt gelaufen bin, immer mit einem Gefühl der Freude und Erfüllung nach Hause gegangen. Denn selbst bei schlechtem Wetter ist die Welt mit Bildern doch fantastisch! 😀
Der erste Tag – blind, die Führung abgeben
In einer Ubahn-Unterführung soll ich also die Augenbinde anziehen und einem wildfremden Menschen vertrauen? Ja! Anusch Mazloum ist Mobilitätstrainer für Sehbehinderte und hilft ihnen sich im Alltag besser zu orientieren. Er hat eine ganz ruhige Art und lobt mich ständig, dabei gehe ich nur ein paar Schritte blind mit der Augenbinde. 😉
Als ersten Test folge ich blind dem Klatschen von Anusch und versuche ihn zu finden. Juhu, es klappt, meine Orientierung über das Hören funktioniert! 🙂
Jetzt starten wir mit der Führhaltung. Der Führende geht immer vor dem Blinden! Der Blinde greift den Oberarm des Führenden von hinten so, das die Schultern beider auf einer Linie sind, d.h. die rechte Schulter des Führenden und die linke Schulter des Geführten sind auf einer Höhe. Der Daumen bleibt oberhalb des Oberarms. Der Arm des Führenden, an dem der Blinde geführt wird, bleibt stets eng am Körper, sodass die Breite beider Personen auf den meisten Wegen gut durchpasst.
Die Distanzeinschätzung von bspw. Autos ist z.B. sehr schwierig. Es wirkt tendenziell immer so, als wären die Autos viel näher (z.B. gefühlt 3m, in echt 8m). Gerüche sind viel intensiver und auch darüber kann ich feststellen, ob ich beim Bäcker oder Mc Donald’s vorübergehe. Zum Tasten lassen des Blinden kann ich meinen Führarm zum Objekt ausstrecken und den Blinden über den Arm zum Gegenstand leiten. Der Blinde tastet sich einfach am Arm entlang zum Objekt.
An einer Stelle kamen uns gefühlt Personen entgegen, dabei sind wir lediglich an einer Gruppe von Personen vorbeigegangen. Echt komisch, was die innere Vorstellung und die Geräusche mich glauben lassen…
Einmal dachte ich, das ein Radfahrer durchs Laub gefahren ist, tatsächlich waren es sogar Hunde, die durchs Laub gerannt sind. 😀
Die Ampelvibration für Blinde finde ich als Knöpfchen unter dem Ampelschalter. Leider ist diese Funktion nicht bei allen Ampelschaltern verfügbar und nicht jede Straße hat eine Ampel zum Überqueren…
Umweltmuster, wie z.B. T- und X-Kreuzungen helfen dabei, sich zu orientieren. Noch muss ich mein Gehör aber trainieren, den anfahrenden Parallelverkehr zu erkennen und gleichzeitig zu wissen, dass ich nun grün habe und auch gehen kann. Wenn Blinde noch einen Sehrest haben, dann helfen Piktogramme, wie das S für S-Bahn oder U für U-Bahn, um sich zu orientieren.
Der zweite Tag – an nasser Straße zum Einkaufszentrum
Heute hat mich mein Trainer unter der Dunkelbrille in ca. 45 Min. von einer U-Bahn Haltestelle bis zu einem Einkaufzentrum geführt. Die Autos klingen auf der nass veregneten Straße noch schneller und näher, als sie wirklich sind. Bei Stufen, wie Bordsteinkanten oder Treppen bleibt Anusch stehen. Er bewegt den Arm, der mich führt leicht nach oben oder unten, so dass ich weiß, ob es nach oben oder unten weitergeht. Bei Verengungen wird der Führarm leicht hinter den Rücken geschoben, so dass ich hinter Anusch laufe.
Bei Rolltreppen ist es wichtig, das sich der Blinde am Handlauf orientiert, ob die Rolltreppenfahrtrichtung von ihm wegführt. Am Boden ist eine Metallklappe und ich merke daran (und am Geräusch), das wir vor der Rolltreppe stehen.
Wenn der Führende in Winkeln nach links und rechts abbiegt, kann sich der Blinde gut orientieren. Wenn du eine Person er sanft in eine andere Richtung führst, dann kann es sein, dass diese den Richtungswechsel gar nicht mitbekommt… Wenn mein Trainer mich an seinem anderen Arm führen möchte, dan erfolgt der Wechsel in einer Art 180°-Drehung so, das ein Kontakt immer bestehen bleibt.
Der dritte Tag – Entdeckungen im Einkaufszentrum
Heute fahre ich noch einmal blind mit der U-Bahn zum Einkaufszentrum. Einige «wilde» Jugendliche in der U-Bahn machen mir Angst. Sie sind in meiner Nähe, reden laut und bewegen sich in meiner Vorstellung vor meinen Füßen, als würden sie einen ihrer Freunde herumschupsen. Als ich – endlich – mit meinem Trainer aussteige, bin ich erst erleichtert. Anusch meint noch kurz nach dem Aussteigen «Ja, es gibt schon blöde Menschen.» Seine gelassene Art lässt mich ruhig bleiben, doch dann rennt einer der Jugendlichen plötzlich extrem nah an mir vorbei und streift mich leicht. Ich zucke zusammen, Anusch dreht sich um und brüllt durch die U-Bahn, dass alle verstummen… Ist mir ja egal, ob sie sich über mich lustig machen, denke ich, doch dann denke ich aber halt: Die wissen doch gar nicht, ob ich nicht wirklich blind bin!! Oh mein Gott, da ist man schon blind und wird dann noch verspottet? Ja, Anusch berichtet mir von vielen Blinden, die sogar ausgeraubt werden. Und dabei ist es erstmal ein Geschenk, wenn ein Blinder sich in die Welt hinaus traut um sein Leben zu leben. Ja, es gibt wirklich blöde Menschen… 🙁
Nachdem wir die aufregende, kurze Fahrt überstanden haben, machen wir einen Spaziergang durchs Kaufhaus. Ich darf Geschäfte erraten: Bei hipper Musik, rate ich – Klamotten für Teenies, ich betrachte Objekte wie einen Turnschuh und einen Stoff-Pinguin und ich versuche die Geschäfte zu erriechen, z.B. Bäcker, Drogerie (Parfum schnuppern). Wir fahren mit der Rolltreppe hoch und runter, ich versuche mich in den Gängen zu orientieren und stelle fest, dass das gar nicht so einfach ist. Anusch gibt mir den Hinweis, dass die Beschreibung für Blinde am besten an markanten Merkmalen funktioniert. Statt links, rechts, geradeaus zu sagen ist es besser, wenn ich erkläre, dass hier ein Briefkasten ist, geradeaus der Lift kommt und um die Ecke der Bankautomat steht.
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