Der vierte Tag – blind im Restaurant

Heute war ein besonders aufregendes Treffen, denn heute ging es unter der Dunkelbrille ins Restaurant. Als erstes erklärt mir Anusch die Orientierung auf dem Tisch, damit ich nichts umwerfe. 😉
Ich forme meine Hände zu einer lockeren Faust und lege sie auf den Tisch.

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In kreisenden, langsamen Bewegungen kann ich vorsichtig auf dem Tisch Dinge erfühlen. Der Kellner bringt ein Glas Apfelschorle, ich suche nach dem Glas und stelle dann fest, dass das Glas bis zum Rand hin voll ist. – Vielleicht nicht so clever das Glas dermaßen voll zu machen, wenn man das Glas einer Blinden gibt.. aber es gelingt mir nicht allzu viel heraus zu kippen. 😉

Bestellt haben wir Pizza und für mich Spaghetti. 🙂 Die Orientierung auf dem Teller gelingt gut über die Uhrzeit. Wenn Anusch z.B. sagt «Nudeln auf 9 Uhr», dann weiß ich, dass Nudeln am linken Tellerrand liegen. Genauso «Trinkglas auf 3 Uhr», dann weiß ich, das mein Glas rechts von meinem Teller steht. Salz und Käse auf die Nudeln zu streuen ist gar nicht so einfach. Ich weiß ja nicht, wie viel herauskommt… Die Nudeln müssen lange gedreht werden, bis sie sauber in den Mund geführt werden können. – So jetzt jeden Tag und ich nehme garantiert ab. 😉

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Blind Spaghetti-Essen – probier es doch mal aus 🙂

Der fünfte Tag – Simulationsbrillen

Beim Training mit den Simulationsbrillen habe ich zwei Brillen getragen, die zwei unterschiedliche Augenkrankheiten simulieren. Bei der ersten simulierten Sympthomatik handelt es sich um Retinitis Pigmentosa. Durch die Brille habe ich überall schwarz gesehen, bis auf eine Stecknadel große Stelle. Durch dieses Loch kann ich zwar sehen, jedoch ist der Sichtbereich extrem klein. Statt 180° ist mein Sichtfeld stark eingeschränkt und ich sehe weniger als durch Scheuklappen… Außerdem halte ich meinen Kopf ständig schief, um das verbliebene Sichtfeld zu zentrieren. Einmal wäre ich fast gegen eine graue Stange gelaufen, die es zu Hauf an den Straßen gibt. Anusch meinte auch, dass etwas Farbe um die Stangen schon ausreichen würde, um dem Blinden den Weg zu erleichtern. Bei der zweiten Brille fühle ich mich schon viel wohler, auch wenn ich immer noch nicht wirklich viel sehen kann. Bei der zweiten Brille wird die Makula-Degeneration simuliert, die insb. bei älteren Menschen auftritt. Dabei kann der Blinde zwar das ganze Sichtfeld nutzen, sieht allerdings wie durch stark milchiges Glas. Farben und Licht werden dadurch grell und leuchtend. Sonnenlicht kann so stark blenden, sodass die Ampelfarbe nicht mehr erkannt wird. Autokennzeichen sind kaum zu erkennen. Selbst wenn ich direkt 10 cm davor hinsehe, kann ich nur schwerlich irgend eine Ziffer erkennen. Da das Sehen hierbei auch so stark eingeschränkt ist, gilt ein Mensch auch bei dieser Sympthomatik als blind. Tja, wirklich gut orientieren kann ich mich mit dieser Brille nicht… Vor allem Kontraste von schwarzer Schrift auf weißem Grund sind sehr hilfreich. Eine hellgrüne Schrift auf weißem Grund kann ich überhaupt nicht lesen.

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Original

Retinitis Pigmentosa

Retinitis Pigmentosa

Makula Degeneration

Makula Degeneration

Noch mehr Simulationsbilder findest du hier: http://www.absv.de/sehbehinderungs-simulator

Der sechste Tag – Langstocktraining

Das blinde Leben ist deutlich entspannter mit so einem Langstock. Beim Langstocktraining ist es wichtig erst in einer beruhigten Zone zu beginnen bis die Bewegungen mit dem Langstock sitzen. Erst dann kann der Blinde in nach und nach belebteren Zonen üben, bis er sich richtig gut orientieren kann. Als Erstes gehen wir daher zum Training in die U-Bahn-Unterführung. Der Stock muss so lang sein, dass er vom Boden bis unter meine Achsel reicht. Als Nächstes greife ich den Stock so, dass ich den rechten Zeigefinger auf die glatte Stelle des Langstockgriffes anlege. Nur aus dem lockeren Handgelenk bewege ich nun den Stock vor mir von links nach rechts, immer assymmetrisch zu den Schritten. D.h. rechts Schritt vor der Stock ist links; links Schritt vor, der Stock ist rechts. Das Blindenleitsystem ist durch den Unterschied von glatt zu riffelig gut mit dem Langstock fühlbar. Pendelnd bewege ich den Stock am Boden in Laufbreite und so, dass ich am Rand der Pendelbewegung die Riffelung der Abgrundmarkierung spüre. Ansonsten ist der Boden bei der U-Bahn schön glatt und eben.

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Schon kann ich den ganzen U-Bahn-Steig ohne Hilfe (Anusch ist aber natürlich noch dabei und passt auf) entlanggehen. Wobei der einfahrende Zug sich dann doch etwas gruselig nah anfühlt. Der Boden vor der Rolltreppe ist für mich mit dem Langstock deutlich erkennbar. Ich berühre vorsichtig den Handlauf um zu prüfen, in welche Richtung die Rolltreppe fährt. Dann kommen wir noch zu einer normalen Treppe und Anusch zeigt mir, wie ich die Treppe mit dem Langstock hochgehe. Ich stell den Stock mit ausgestrecktem Arm gerade vor mir auf die nächste Stufe und folge den Stufen, indem ich den Stock locker halte und gegen die nächsten Stufen klackern lasse. Im besten Fall habe ich am Rand der Treppe noch einen Handlauf, wo ich mich mit einer Hand festhalten kann. Oben angelangt ist es gut ein paar Pendelbewegungen zu machen, um die Sperrpfosten bei der U-Bahn zu erkennen. Beim Heruntergehen ist es so, dass ich den Stock flach auf die Stufen lege. So weiß ich, dass noch eine Stufe kommt und sobald der Stock nach unten stoppt, merke ich, das ich unten angekommen bin. Funktioniert prima!

Allerdings: Was ist mit Höhenhindernissen? Wie kann der Blinde in einer fremden Umgebung die Ampel oder den Aufzug finden? Hier ist der Blindenführhund eine tolle Hilfe! Der Blinde ist sehr viel schneller unterwegs und der Hund zeigt ihm die Dinge an, die er allein mit dem Stock nicht erkennen kann. Der Hund kennt die alltäglichen Wege und führt den Blinden auf das Signal «Nach Hause» sogar wieder zurück zum Ausgangspunkt.

Mir hat das Mobilitätstraining einige Erkenntnisse gebracht und ich kann nun Ida so ausbilden, dass sie einem Blinden einen noch einfacheren Alltag ermöglichen kann. 🙂